Wenn mensch dieses fast 500 Seiten schwere Buch in die Hand nimmt, strahlt einen der goldene Umschlag mit den Bildern der 61 AutorInnen an. Die beiden Herausgeber sind mit dabei: Peter Lehmann betreibt seit 1986 den Antipsychiatrieverlag und ist Mitglied im International Network Toward Alternatives and Recovery (INTAR). Letzteres hat Peter Stastny, der in New York lebt und Dozent am Albert-Einstein-College of Medicine in der Bronx ist, mitgegründet.
„Stattbuch 2“ enthält sechs Kapitel. „Warum Psychiatrie mehr schadet als hilft“ enthält Beiträge von Kate Millet, Feministin, Schriftstellerin und Bildhauerin, und Dorothea Buck, Autorin, Bildhauerin und bedeutende Persönlichkeit der Bewegung Psychiatrie-Erfahrener. Im Abschnitt „Was hilft mir, wenn ich verrückt werde?“ beschreiben Krisenerfahrene, wie sie sich erfolgreich aus Krisen hinaus helfen. Organisierte Selbsthilfe wird vorgestellt. Es folgt der Abschnitt „Modelle professioneller Unterstützung“ mit Darstellungen der Soteria in Bern, dem „Offenen Dialog“ in Finnland u.a. Diese Kriseninterventionen reduzieren Gewalt sowie Zwangsmaßnahmen und übermäßige Verschreibungen von Psychopharmaka. In „Strategien zur Durchsetzung von Alternativen und menschlicher Behandlung “ wird u.a. MindFreedom International erläutert – bestehend seit 1990, bei den Vereinten Nationen als beratende Nichtregierungsorganisation akkreditiert und engagiert im Einsatz für Menschenrechte als Grundlage einer gewaltfreien Revolution im psychosozialen System. Im abschließenden Kapitel wird darüber nachgedacht, warum wir Alternativen zur Psychiatrie so dringend brauchen. Damit schließt sich der Kreis zum ersten Kapitel.
In diesem ersten Artikel über den Inhalt des Buches möchte ich die Arbeit des Personenbezogenen Ombudsmanns (PO) in Skåne (Schweden) vorstellen. Dies Berufsbild – selbstverständlich auch von einer Frau ausübbar – gibt es seit 1995. Arbeitgeber ist die Non-Profit-Organisation PO-Skane, die im Jahre 2000 gegründet wurde. Sie versorgt in der südlichsten Provinz von Schweden alle anfragenden Personen. Ein Personenbezogener Ombudsmann arbeitet nicht wie ein Betreuer, sondern macht nur, was der Klient möchte. Paternalismus als Haltung ist nicht erwünscht. Der PO muss flexibel, kreativ und unkonventionell in seiner Arbeitsweise sein. Die Entscheidungen trifft der Klient selbst, der PO hilft dabei, die Wünsche auszudrücken und umzusetzen. Jeder PO arbeitet 40 Wochenstunden. Er arbeitet von Zuhause aus. Er trifft seine ca. 12 – 15 KlientInnen in deren Haushalt oder an neutralen Orten in der Stadt. Auf Wunsch gibt es auch Kontakte per Telefon oder Internet. Es gibt keine Verträge; kontaktiert ein Klient einen PO, so ist die Verbindung mit einem simplen „Ja“ hergestellt. Die KlientInnen zahlen nichts. Der Klient hat das Recht, auf seinen Wunsch hin gegenüber den Behörden anonym zu bleiben. Notizen oder Unterlagen über die KlientInnen gibt es nicht. Häufige Themen sind existentielle Fragen („Warum soll ich leben?“), Beziehungen zu Verwandten oder Sexualität.
Dieser Ansatz der unterstützten Entscheidungsfindung mag selbstverständlich klingen, ist jedoch revolutionär. In der UN-Behindertenrechtskonvention (2006) gibt es in § 12 ein Recht darauf, „in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit (zu) genießen.“ PO-Skane hat durch seine Mitarbeit an der UN-Behindertenrechtskonvention den Gesetzgebern zu der Einsicht verholfen, dass Menschen mit psychosozialen Gesundheitsproblemen in diesem Paragraphen nicht ausgeschlossen werden dürfen.
PO-Skane ist der großen Nutzerorganisation RSMH (Schwedischer Nationalverband für Soziale und Psychische Gesundheit) und der Familienorganisation IFS (Schizophrenie Gesellschaft) angeschlossen. Zwei Drittel der Fördermittel für diesen Dienst kommen vom Staat und ein Drittel von der Kommune. Die 25 POs – meist ausgebildete SozialarbeiterInnen – bekommen ein Monatsgehalt.
Peter Lehmann/Peter Stastny (Hrsg.), Statt Psychiatrie 2, Antipsychiatrieverlag, Berlin 20071,
€ 24.90, ISBN 978-3-925931-38-3, unter dem Titel „Alternatives Beyond Psychiatry“ auf Englisch sowie auf Griechisch lieferbar
Heike Oldenburg