„Schatzkiste Rostock“ – wäre das was für Berlin?
Motto: Es ist ganz einfach:
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
A. de Saint-Exupéry
In Rostock, einer Hansestadt an der Ostsee mit 200.000 EinwohnerInnen, gibt es seit ca. fünf Monaten die „Schatzkiste“, eine „Kontakt- und Partnervermittlung für Menschen mit Behinderungen“. In einer Begegnungsstätte in Rostock-Lichtenhagen befindet sich ein 20 qm großer Büroraum mit Rampe und PC. Ein ausdrucksstarkes Bild mit einem schützenden roten Pferd neben einer schlafenden Lady auf einem Ananasstrand dominiert die Atmosphäre neben Sofas und Regalen.
Die Idee einer Agentur für Partnervermittlung dieser Art auf gemeinnütziger Basis stammt aus Hamburg. Der Psychologe und Sexualtherapeut Bernd Zemella begann 1998, das Projekt in der Ev. Stiftung Alsterdorf aufzubauen. Dort gibt es inzwischen 360 Karteimitglieder mit über 50 Vermittlungen. Durch die Ansiedelung des Projektes in diesem Hause entstand der vorrangige Bezug zur Zielgruppe der geistig Behinderten. Diese Menschen haben oft große Schwierigkeiten, über ihren – meist geschützten – Arbeitsplatz sowie Wohnort hinaus persönlich andere potenzielle LiebhaberInnen kennen zu lernen.
Am 7. Juni 2004 fand der offizielle Start der Schatzkiste Rostock mit einer Party statt. Zuvor hatte es drei Treffen mit allen TrägerInnen gegeben, die sich mit behinderten Menschen beschäftigen. Hierbei mussten Bedenken hinsichtlich der Seriosität (Rotlichtmilieu? Aids?) ausgeräumt werden. Der Förderverein Gemeindepsychiatrie e. V widmete die halbe Stelle von Ulla Tiggesbäumker um, und die AWO Sozialdienst Rostock gGmbH stellt den Raum. Drei weitere Einrichtungen beteiligen sich. Zemella stellt für die Vermittlungsaufnahme in Rostock seine selbst entwickelte Software zur Verfügung.
In der Rostocker Kartei sind bisher 30 Mitglieder. Die InteressentInnen kommen entweder über Zeitungsartikel oder durch die Flyer zur Schatzkiste. Per Anruf wird ein Termin vereinbart, bei dem im Büro die Daten der Person direkt in den PC aufgenommen werden. Neben den Grunddaten werden charakterbezogene Informationen und Wünsche erfasst. Auch 2-3 Digitalfotos werden aufgenommen. Eine einmalige Aufnahmegebühr von 10 € fällt an. Sollte Partnerin A mit Partner B zusammenpassen, bekommen beide ein Anschreiben mit dem Foto des potenziellen Gegenübers zugesandt, jedoch ohne Adresse oder andere Details. Erst wenn beide Seiten Interesse bekundet haben, wird ein Treffen im Büro der „Schatzkiste“ verabredet. Sollte sich später ein gravierendes Problem innerhalb der vermittelten Beziehung einstellen, so kann Tiggesbäumker – eine Begleitung bei 2-3 Terminen ist immerhin möglich – nur an professionelle Stellen weiter verweisen. Zwar sind die Mitglieder in der Kartei handverlesen, jedoch einen Schutz gegen Lügen oder Gefahren anderer Art bietet dies nicht.
In Rostock werden über Liebesbeziehungen hinaus – erweiternd zu dem Hamburger Konzept – auch andere soziale Kontakte wie gemeinsames Rommeespielen o. ä. vermittelt. Bisher umfasst der Arbeitsumfang von Tiggesbäumker ca. 10 Stunden wöchentlich, die häufig mit Journalistenanrufen ausgefüllt sind. In Kürze soll es eine erste Party zum zwanglosen Kennenlernen der Angemeldeten untereinander im Café „Händikäff“ geben. Dieses seit Februar bestehende Café spricht ein kunterbuntes Publikum über alle Generationen an und ist mit Lift behindertenfreundlich ausgestattet.
Wichtig für das Projekt ist eine weitreichende Unterstützung durch andere Institutionen, da sich die Verbreitung der Flyer sonst schwierig gestaltet. Es gibt viele Anfragen zur persönlichen Vorstellung des Projektes in Einrichtungen wie Tagesstätten und Werkstätten durch Ulla Tiggesbäumker. Dies ist hilfreich, denn eine Kontaktaufnahme fällt vielen Behinderten anschließend leichter, wenn sie ein freundliches Gesicht mit dem Namen „Schatzkiste“ verbinden.
Auch in anderen bundesdeutschen Städten soll das Konzept demnächst umgesetzt werden: Eine Kölner Partnervermittlung nahm im November 2004 – ebenfalls im diakonischen Umfeld – den Betrieb auf. Gespräche werden aktuell auch in Bad Homburg und in Heilbronn für Baden-Württemberg überregional geführt. Ein Beitritt in den Hamburger Verein wird gewünscht. Mensch sollte sich ein bis zwei mal im Jahr zum Erfahrungsaustausch treffen. Eine Vernetzung bzw. ein Fortwachsen nach dem Schneeballsystem ist beabsichtigt.
Was wäre in Berlin möglich? In Absprache mit Heinrich Beuscher, dem Psychiatriekoodinator der Stadt, und Martin Marquard, dem Landesbehindertenbeauftragten, werden wir in Berlin erst einmal an einer Stelle, im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf beim dortigen Behindertenbeauftragten, anfangen. Bei Erfolg kann später über eine Ausweitung innerhalb der Stadt nachgedacht werden. Dies ist allein schon unter dem Aspekt interessant, dass es sehr viele verschiedene Behinderungsformen gibt und die Bedürfnislage der einzelnen sehr unterschiedlich ist. Es wollen nicht alle Behinderungsformen untereinander mit allen zu tun haben – und schon gar nicht als LiebhaberInnen!
Heike Oldenburg
11-04
www.schatzkiste-partnervermittlung.eu
Erste glückliche Vermittlung bei der „Schatzkiste Berlin“
Kontakt- und Partnervermittlung für Menschen mit Beeinträchtigungen
Die Idee einer Agentur für Partnervermittlung für Menschen mit Beeinträchtigungen auf gemeinnütziger Basis stammt aus Hamburg. Sie wurde von der Aktion Mensch unterstützt und wird momentan bundesweit ausgeweitet. (Köln, Rostock, Luckenwalde u.a.)
Seit Oktober 2005 werden in Berlin Menschen mit psychischen und körperlichen, aber auch ohne Beeinträchtigungen in unsere Kartei aufgenommen. Der Ansatz der Schatzkiste ist integrativ. Die Berührungsängste unter den Werbenden und Suchenden sind groß. Die Menschen kommen direkt zu uns, um andere Menschen für Freizeitaktivitäten und Liebesbeziehung kennen zu lernen.
Das erste glückliche Paar hat sich gefunden: eine leicht gehbehinderte Frau und ein Mann ohne Beeinträchtigung. Sie findet es schade, diesen zärtlichen Mann nicht schon vor 30 Jahren kennen gelernt zu haben. Noch mehr Menschen sollen in der Schatzkiste Berlin ihr Glück finden!
Besonders gute Chancen, einen Partner vermittelt zu bekommen, haben bei uns Frauen. Es gibt wesentlich mehr Männer in der Kartei. Frauen scheinen weniger und auf anderen Wegen nach Kontakten/ Partnern zu suchen. Die vermittelnden Personen sind sowohl für die Förderung/ Anbahnung von Partnerschaften als auch für die Förderung von „Nur-Kontakten“ zuständig. Es können sowohl gemischt- wie auch gleichgeschlechtliche „Kontakte“ gesucht und vermittelt werden. Auch überregionale Kontakte sind möglich, d.h. zwischen verschiedenen Schatzkisten oder aus deren Umgebung. Im Juni diesen Jahres haben wir unseren ersten Kunden aus dem Harz aufgenommen.
Weitere Aktivitäten, die den Kontakt untereinander fördern können, sind „Tanzkisten“ und – speziell in Berlin – „Spazierkisten“. Die erste Disco fand im April 2006 in Schöneberg statt. Die zweite war im September 06 im Fürst Donnersmarck-Haus in Frohnau. „Spazierkisten“ sind 1-2-stündige, angeleitete Spaziergänge mit anschließendem Kaffeetrinken. Hierzu werden gezielt gleich viele Männer und Frauen eingeladen.
Wie funktioniert die Schatzkiste?
Zu einem Gespräch für die Aufnahme in unserer Kartei wird zunächst telefonisch ein Termin vereinbart. Die Aufnahme durch Beantwortung eines Fragenkatalogs im Gespräch geschieht zumeist im Büro der „Schatzkiste Berlin“ im Stadtteilladen Tegel-Süd statt. Darüber hinaus sind Aufnahmen innerhalb Berlins bei PartnerInnen in den Stadtteilen Pankow, Köpenick, Schöneberg und Frohnau möglich.
Am Anfang steht das persönliche Kennenlernen im Aufnahmegespräch. Dazu sind Angehörige und Betreuer/innen ebenfalls gerne eingeladen. Neben persönlichen Daten wird auch nach Hobbys, Wünschen zu der gesuchten Person selbst und den Vorstellungen von der/ dem zukünftigen Partner/in gefragt. Danach wird ein digitales Foto angefertigt. Für das Interview wird eine einmalige Aufnahmegebühr von 10 Euro genommen.
Die Einzelvermittlungen zwischen Kontakt und/ oder Partner/in kann sowohl auf Wunsch mit Anleitung als auch ohne stattfinden. Die Weitergabe von Daten (z.B. der Telefonnr.) geschieht nur mit Einverständnis des Datengebers mit dessen vorheriger Absprache.
Heike Oldenburg
August 2006
Fete „Tanzkiste“ im September 2006
Anfang September 06 ab 18h fand die zweite Fete der „Schatzkiste Berlin, Partnerschafts- und Kontaktvermittlung für Menschen mit Beeinträchtigungen“, im Fürst Donnersmarck-Haus (FDH) in Frohnau am Stadtrand statt. Die Räume dieses Rehabilitationszentrums mit Wohngelegenheiten sind gut berollbar, das war wichtig. Darüber hinaus haben wir einige Kundschaft aus dem Hause. Es wagten sich trotz der Abgelegenheit des Ortes doch 60 Gäste hierher. Aus dem Hause waren um die 15 eher jugendliche RollifahrerInnen da.
Die genutzten Räumlichkeiten waren recht weitläufig. Am Kassentisch am Anfang des Flures gab es Hinweise, dass bei Bedarf auf konkrete Vermittlungshilfe für Kontaktaufnahme zurückgegriffen werden könne, sowie einige weitere Infos zum Ablauf und Busfahrzeiten. In dem langen Flur auf dem Billardtisch wurden später leckere belegte Brötchen aufgedeckt. In der Cafeteria mit Theke für Getränkeverkauf wurde getanzt, in einem kleinen Nebenraum und auf der Terrasse standen Tische, an denen die BesucherInnen gut ins Gespräch kommen konnten. Dies war ja schließlich auch das Ziel der ganzen Veranstaltung.
Um dies zu erreichen, lagen schon an der Kasse schriftliche Entwürfe zur Kontaktaufnahme aus. Tatsächlich mussten die OrganisatorInnen häufig Liebesboten spielen und ausgefüllte Kontaktbögen weiterreichen. Bei der Anmoderation der Party wurde kräftig applaudiert, als die Zahl der bisher in die Kartei Eingetragenen mit 85 benannt wurde! Darauf wurde das Buffet eröffnet.
Die Musik war spitze, der DJ Frank machte seinen Job sehr gut. Doch die Leute saßen lieber. Also wurde zum Hutspiel gegriffen, um die BesucherInnen in Bewegung zu bringen. Viele wurden direkt auf die Tanzfläche gezerrt, auch aus dem Gartenbereich – dort saß das Gros, denn es war draußen angenehm warm, trocken, und hier konnte geraucht werden. Es kam schnell richtig Leben in die Sache, es wurde eine Weile getanzt, erst nur drei, vier, dann viele. Danach begeisterte die Band „Freak Circus“ für eine halbe Stunde (viel Applaus), dann wurde zu Dosenmusik weiter getanzt, weiter. Es wurden auch Termine gemacht für weitere Aufnahmen. Immer wieder einzelne angesprochen, ob sie nicht jemand interessant genug fänden, um den Kontakt aufzunehmen?
Um 21.35h erfolgte der Hinweis auf den jetzt nur noch alle 20 Min. fahrenden Bus. Sehr stark bedankten sich vor allem Frauen im Anschluss, wie schön es hier sei und wie toll, dass es diese Veranstaltung hier so gebe. Der Verlauf des Abends war grundlegend befriedigend.
Das FDH war froh, mit so viel BesucherInnen von außerhalb so viel Lebendigkeit zu haben. Ein altes Problem zeigte sich jedoch auch hier wieder: Die Behinderungsarten untereinander haben wirklich Schwierigkeiten, Interesse aneinander zu entwickeln. Dennoch war die Stimmung insgesamt echt dufte gewesen.
Heike Oldenburg
Oktober 2006