War Caravaggio ein „Irrer“?
Michelangelo Merisi da Caravaggio war ein italienischer Maler des Frühbarock. Er malte überwiegend übergroße religiöse Gemälde und Altarbilder in Rom und Neapel. Er hat das Stillleben in die religiöse und historische Malerei erhoben. Dabei füllte er überlieferte Formen und Haltungen mit normalen Menschen, die Alltagskleidung trugen und zerfurchte Haut hatten. Oft arbeitete Caravaggio vom lebenden Modell. Seine weitreichendste Erneuerung für die Malerei war, dass er das Phänomen Licht nutzte, um Momente größter Bekehrung oder Ekstase mit Strahlen unklaren Ursprungs transparent zu umschließen.
Caravaggio wurde im September 1571 als ältestes Kind eines selbständigen Maurermeisters geboren. In seinen frühen Jahren in Milan erhielt er – unüblich für die Zeit – gute Übung im Malen vom lebenden Subjekt. Dies sollte sein weiteres Schaffen entscheidend formen. 1592 ging er nach Rom, wo er 1597 von dem einflussreichen Kardinal Francesco del Monte entdeckt wurde. Caravaggios Charakter war aufbrausend, leidenschaftlich und unkontrolliert. Das führte zu Anklagen wegen Prügelei, Steine werfen, ein Schwert ohne Lizenz tragen und Prozessen wegen Beleidigung und Mord. Die konstante Unruhe in Caravaggios Leben zeigte sich auch in der Subjektwahl seiner Bilder: Häufig fließt Blut. Daneben hatte er oft knabenhafte Modelle – sowohl Homo- als auch Bisexualität werden daher bei ihm vermutet.
Im Mai 1606 musste Caravaggio als offiziell Geächteter nach der Ermordung seines ehemaligen Freundes Tomassoni aus Rom fliehen. Er ging über Neapel nach Malta. Dort strebte er die Ritterschaft im Maltesischen Orden von St. John an. Der Schutz dieses Ordens bedeutete Aufnahme in die Bruderschaft. Damit waren aber auch Nationalismus, Familienstolz und politische Rivalitäten verbunden. Die Statuten des Ordens verboten, dass geächtete Menschen Ritter werden konnten. Der derzeitige Großmeister von Malta, Alof von Wignacourt, war so begeistert von Caravaggio, dass er extra beim Papst eine Ausnahmebewilligung für Caravaggio einholte und ihn im Juli 1608 zum Ritter ernannte.
Während seines Aufenthaltes in Malta malte Caravaggio sein größtes Werk, „The Beheading of St. John“ (Die Enthauptung Johannes des Täufers). Er signierte dieses Bild als einziges in seiner Karriere, und zwar im Blutstrom, der aus der Schnittwunde des Johannes hervorquoll! Da er gerade eben Ritter geworden war, signierte er mit „Fra Michael Angelo“ (Bruder Michael Angelo). Dies Gemälde ist ein Meisterwerk an künstlerischer Disziplin, welches Raumanordnung, Gestik und Handlung sehr kontrolliert zu einer großen Szene der Brutalität arrangiert. Das Bild wird heute das „Gemälde des Jahrhunderts“ genannt.
Caravaggio hat jedoch die feierliche Enthüllung seines Werkes nicht miterlebt, denn sein alter, wilder Lebensstil zerbrach ihm die Schaffensruhe. Nur vier Wochen nach seinem Ritterschlag wurde er nach einem gewalttätigen Streit eingekerkert. Es gelang ihm jedoch, Anfang Oktober nach Sizilien zu entfliehen. Unklar bleibt, wie er dies genau geschafft hat. Caravaggio wusste schon immer sehr intelligent andere Menschen für sich einzusetzen. Er hatte überall bedeutende, mächtige Kontakte, die er jeweils für sich zu nutzen wusste.
Seine letzten Werke in Sirakuse, Sizilien, wurden unglaublich intensiv von der Farbe her, die Innensicht der gestenlosen Menschen dominierte. 1609 ging er wieder nach Neapel, von wo er sich im Sommer 1610 auf den Weg nach Rom machte. Jedoch auf dem Weg dorthin überfiel ihn ein so schweres Fieber, welches ihn am 18. Juli des Jahres das Leben kostete.
Neben seiner intelligenten Art der Beziehungsaufnahme war Michelangelo Merisi da Caravaggio zu Genuss und zu intensivem Empfinden wohl recht gut in der Lage. Dies scheint jedoch hin und wieder „im Affekt“ haltlos ins Überzogene umgekippt zu sein. Aber muss mensch deshalb gleich als „verrückt“ angesehen werden? Beim „kleinen Bürger“ galt Gewaltanwendung damals wohl eher schnell als „verrückt“, obwohl die Zeit allgemein eher rau und Gewalt an der Tagesordnung war. Zudem mögen Caravaggios impulsive Handlungen neben seinem ungewöhnlichen bildnerischen Ausdruck als Steigerung seiner Exzessivität wahrgenommen worden sein. Nicht alle Verrückten sind gleich gewalttätig, und wenn, dann ist diese Gewalt eher nach innen gerichtet. Jedoch jemanden zu töten, wie auch er tat, ist schon in jedem Falle eine drastische Form der Gewalt. Auch sogenannte „Normale“ werden gewalttätig, siehe Hitler.
Heike Oldenburg
November 07
Quelle: Scibberas, K. and D. M. Stone, Caravaggio, Art, Knighthood, and Malta, Valetta 2006; Wikipedia