stundenlang Frühling – „Ohne Mut ist vieles nicht möglich“

Karla Kundisch, eine rege Selbsthilfeaktivistin, für Sachsen im Vorstand des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener (BPE) und Mitinitiatorin des „Selbsthilfenetzwerk für seelische Gesundheit“, Sachsen, ist nebenbei – und manchmal gar nicht nebenbei – Dichterin. Künstlerin ist frau ja eigentlich nonstop – wenn schon, denn schon. Auch Malerin ist Karla Kundisch; der Ausschnitt eines Bildes auf dem Umschlag zeigt es an; „vor mir auf dem Tisch/ liegen eine Schere und/ ein Nadelkissen“, heißt es später im Buchinneren.

Die vorliegende Gedichtsammlung, erschienen im Dezember 2012 im Verlag DIE FÄHRE, Dresden, umfasst „Lieder, Gedichte, eine kurze Geschichte und Vor- und Nachworte dazu“. Gedichte aus der Lebensspanne 1971 bis 1997, chronologisch angeordnet, mit einigen aktuellen Nachbearbeitungen, füllen das kleine Büchlein randvoll. Umfasst wird ein seit 1956 im Raum Leipzig – Erfurt – Dresden verbrachtes Leben als Lehrerin, Erzieherin, Sozialarbeiterin, Ehefrau und Mutter.

Sie hat kleine Momente erlebt-erfasst und festgehalten, wie das Zwiegespräch mit einer Katze, „sie saß auf einem Zaun am Wegesrand“. Karla bleibt stehen und hört zu, was ihr leider nicht gelingt. Schnurren ist nicht ihre Sprache. Oder ein anderes Mal der Augenblick, wie ein Blatt auf sie fällt und ihr der Herbst daran auffällt.

Es gibt daneben sinnenträchtige Gedichte, in denen Natur und Glauben philosophisch verbandelt werden: „meine Kirche ist der Wald … gehe ich … hin zum Altarfelsen“, an dem die Quelle predigt. Karla hört diese und zugleich „den Chor der Vögel“ und „die Stille“. Überhaupt alles ist im Fluss, es gibt keine Satzzeichen in dem Buch. Erst am Ende in der Nachworte-Geschichte finden sich welche.

Das hübsche Büchlein wirkt wie von einer „normalen“, „gesunden“ Person geschrieben. Auf einer der letzten Seiten tauchen erst Wörter wie „Psychopharmaka“ und „Nervenklinik“ auf. Dieses Fakt, das Stigma wird nicht weg geleugnet, jedoch auch in keiner Weise ins Zentrum gerückt. Ein sehr erleichterndes Buch dadurch – wie sollte es anders sein?? Ein gesundes Leben – inklusive Mut – ist möglich. Es passt dazu, dass eine dreiteilige Gedichtfolge aus den 80er Jahren von der Autorin freigegeben wurde, um bei einer Psychiatriehistorischen Stadtführung verwendet zu werden. Es handelt von krankmachenden Entwicklungen im letzten Jahrhundert:

früher war das Gras noch grüner/ fetter waren die Suppenhühner/ (…)

und noch manches/ heute nicht mehr/ Vorstellbare/ hat es früher noch/ gegeben

so zum Beispiel/ konnten Menschen/ Kriege/ überleben/ (…)

es dauerte/ sehr lange/ und/ viele Menschen/ starben

heute/ könnten wir/ in viel kürzerer Zeit/ viel mehr/ Menschen/ umbringen/ sogar alle

und das/ mehrmals (…)

Heute leben die Menschen in Frieden sowie seit der Wiedervereinigung in neuer Einheit und Hoffnung weiter. Kriege sind überwunden, Krisen sind überwunden – überwindbar! Mit Mut ist weiterhin vieles möglich – auch 2013ff. Frühling ist auch heute länger als stundenlang ….

Heike Oldenburg

6-13

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