Schub als Phänomen
Mich verwundert seit kurzem die ausgesprochen widersprüchliche Nutzung des Wortes Schub, und ich mache mir dazu ein paar Gedanken. Zuerst die Basis, der Ursprung: Was hat der etymologische Duden zu „Schub“ zu sagen? Das Wort „Schub“ (mhd. schup, schub) geht auf das Verb ´schieben´ zurück, dieses auf lit. skùbti „eilen“, dieses wiederum auf die idg. Wurzelform „dahinschießen; werfen, schieben“.
„Schub“ ist eine nur deutsche (Was sagt uns das über die deutsche Seele?) Substantivbildung mit der Bedeutung „Aufschub, aufschieben der Schuld auf andere“. Ursprünglich kommt es aus der Rechtssprache. Im 15. Jahrhundert entsteht für den militärischen Gebrauch: Nachschub. Erst im Neuhochdeutschen wird es in Zusammensetzungen wie „Schubkarre“ (16. Jahrhundert) und „Schublade“ gebraucht. Vor allem steht das Wort für „etwas, was auf einmal geschoben wird“ (z.B. ein Schub Brot in den Backofen). In der technischen Sprache ist der Begriff positiv besetzt: „Schub“ steht hier für Schubkraft.
Was nicht im Duden steht: Nahrungszufuhr kann einen Energieschub auslösen. Beim Lernen spricht mensch von einem Schub, wenn mensch plötzlich viel begriffen hat und es so scheint, als sei auf einmal ganz viel Wissen da. Ein Anschub ist ebenfalls gut, bringt etwas in Bewegung. Soweit also weitere positive Verbindungen mit dem Wort.
Was ebenfalls nicht im Duden steht: die negative Verwendung in der Medizin. Es gibt „Schübe“ sowohl im psychischen als auch im körperlichen Bereich. Bei Multipler Sklerose (MS) sowie einigen anderen Krankheiten spricht mensch vom schubförmigen Verlauf. Hierbei bekommen krankhafte Kräfte plötzlich die Oberhand und lösen einen Schub aus. Wenn jemand einen Schub hat, fühlt die/der PatientIn sich echt richtig schlecht. Da geht es innerlich richtig stark abwärts, und der Schub führt äußerlich zu einer oft deutlich wahrnehmbaren Verschlechterung. Bei internistischen Krankheiten wie Lungen- und Rheumaerkrankungen, Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa und der entzündlichen Nervenerkankung GBS (nach Guillain-Barré) heißt der Schub das „Rezidiv“.
In einer Schizophrenie werden die kritischen, sehr angespannten Phasen, die Psychosen, im Volksmund ebenfalls „Schub“ genannt (Fachjargon: „Exazerbation“). Diese Schübe finden nicht alle Betroffenen immer unangenehm. Sie können im Gegenteil durch ihre Erlebnisdichte auch als sehr angenehm wahrgenommen werden. Ein Schub im psychischen Bereich dauert oft bis zu zwei Monaten. Es ist jeweils wichtig, den Sinn einer solchen Krise zu begreifen. Vor allem die Umwelt ist oft eher stärker schockiert als die/ der Betroffene selbst.
So weit zu einem Phänomen. Es wäre spannend, die Entstehung dieser unterschiedlich besetzten Verwendungen des Wortes je nach Zeiten bzw. Jahrhunderten noch einmal genauer auseinander zu fleddern.
März 2008