Still, alles still, als wär die Welt tot.
Georg Büchner, Woyzeck
2010 erschien das Buch „Gift“, mit Text arrangiert von Peer Meter und Zeichnungen von Barbara Yelin. Darin wird der Prozess gegen Gesche Gottfried dargestellt wegen der von ihr ausgeübten Mordserie – geschehen in Bremen von 1813 bis 1827. Die Rahmenerzählung gibt eine Reiseschriftstellerin, die zufällig am Tag vor der Hinrichtung anreist und mit dem Fall bekannt wird.
Unter den Opfern der Gottfried waren nächste Verwandte sowie Freunde. Sie wurde „Engel von Bremen“ genannt, da sie ihre Opfer hingebungsvoll pflegte. Sie galt als Wohltäterin der Armen. Erst 1828 wurde entdeckt, dass Gottfried diese Leidenszustände mit Todesfolge mit sogenannter Mäusebutter selbst auslöste. Mäusebutter war ein Gemisch aus Schmalz und Arsen und wurde in Kellern ausgelegt. Gottfried verabreichte weiteren Personen Gift in nicht tödlichen Dosen. Obwohl gemunkelt wurde, dass die Nähe zu ihr Unglück bringe, wurde seltsamerweise nie ernsthaft recherchiert oder untersucht.
Gottfried wurde unterstellt, dass sie aus „reiner Geld- und Besitzgier“ gemordet habe, um sich an den Gütern der Verstorbenen zu bereichern. Ihr Verteidiger Dr. Voget unterstellte dies. Er sah sie als von Grund auf „bösartige Natur“. Gottfrieds Aussage: „Es war mir, als wenn mir eine innere Stimme sagte, ich müsse es tun“ ließ er nicht gelten. Dass er auf Unzurechnungsfähigkeit der Gottfried habe plädieren müssen, sie kein leichtes Amt für ihn gewesen.
Die 43-jährige Gottfried war geständig. Durchgehend wird aus den Verhörprotokollen zitiert: „(betr. die älteste Tochter Adeline) Ich war bei ihrem Tod gegenwärtig und weiß noch, wie das Kind sich in seinem Todeskampf an mich klammerte.“ – „Mir war gar nicht schlimm dabei zumute.“ In den Verhörprotokollen steht, dass sie unzufrieden gewesen sei, wenn sie keine Mäusebutter im Hause gehabt habe. Allein sie da zu haben, sei beruhigend gewesen.
Eine Gefängniswärterin mit ausdrucksstarkem Gesicht erzählt der Schriftstellerin von der „Behandlung“ durch Pastor Rotermund mit Bibelsprüchen ohne Ende und dass die Gottfried gewimmert habe vor Elend. Auch Dr. Luce habe bis zuletzt Cholera anstatt Vergiftung als Todesursache angegeben. Eine „an Geist und Seele kranke Frau vor sich zu haben“, war in der starren Gesellschaft des frühen 19. Jahrhundert nicht erwünscht. Das Bild der Gottfried, das in der Öffentlichkeit gebraucht wurde, war das einer egoistischen, kalt berechnenden Person, um sie schuldfähig erklären zu können. Sie musste beispielhaft bestraft werden.
Es gab einen weiterer Fall in dieser Zeit in Leipzig, der zeigt, dass die Frage der Schuldfähigkeit wichtiger wurde. Auch Woyzeck wurde nach einem Gutachterstreit öffentlich hingerichtet. Das Schuld- und Verantwortungsprinzip, auf dem das heutige deutsche Strafrecht beruht, wurde entwickelt.
Heute gilt: Wer ohne Schuld handelt, kann nicht bestraft werden. Das ist z.B. der Fall, wenn eine Person „bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“1 Hierfür können Alkoholrausch, Psychosen sowie psychopathologische Diagnosen wie Persönlichkeitsstörungen, Störungen der Impulskontrolle und substanzgebundene wie -ungebundene Abhängigkeiten u.a. ausschlaggebend sein. Diese müssen mit einem medizinischen oder psychiatrischen Gutachten ermittelt werden. Wer danach für schuldunfähig befunden und falls weitere Gefährlichkeit vermutet wird, kann nur im Maßregelvollzug eingesperrt werden.
Die Darbietung des historischen Stoffes in Form einer Graphic Novel ist zeitgemäß. Es handelt sich um einen Comic, also eine illustrierte Bildgeschichte mit 200 Seiten. Die Bilder sind sehr dunkelgrau gehalten, also dem Inhalt der Geschichte entsprechend relativ düster und ziehen einen emotional voll rein. Barbara Yelin soll während der Produktionsphase depressiv geworden sein. Hier wurde ein Thema mit feministisch-dokumentarischer Rahmenerzählung behandelt.
Heike Oldenburg
Peer Meter, Barbara Yelin, GIFT, Berlin 2010
1Wikipedia, 8. Februar 2012