Demonstration zum 20. Behindertenparlament – Inklusion

Am 3. Mai 2012 fand in Bremen die Demonstration zum 20. Behindertenparlament mit dem Oberthema Inklusion statt. Inklusion bedeutet einen Schritt weiter als Integration, nämlich dass bereits der Zustand erreicht ist, dass jeder Mensch in seiner Individualität akzeptiert wird und in vollem Umfang an der Gesellschaft teilhaben kann, dass dieser ausgrenzende Zustand auch nicht mehr hergestellt wird. Wir versammelten uns alle auf dem freien Platz vor dem Bahnhof, wo die Skater normalerweise sind. Wir waren viele, ca. 200 Menschen. Ich traf mehrere Freunde und Bekannte. Der IRRTURM war auch mit sechs Personen dabei. Wir wollten uns als psychisch beeinträchtigte Menschen ebenfalls für Inklusion aussprechen. Wir waren die einzigen, die richtige echte Schilder trugen, mit Aufschriften wie „Begegnung auf Augenhöhe hier und überall“, „Aus der Nähe betrachtet ist niemand normal!“ und „Wir sind anders normal – ihr auch?“ IRRTURM-Mitglieder verteilten Infomaterial über unsere Zeitung, das gerne angenommen wurde. Die Moderatorin Kassandra Ruhm benannte immer wieder aus dem Wagen heraus die ganzen benachteiligten Gruppen, inkl. Transsexuellen, aber wir Psychos wurden „vergessen“.

Am Anfang erklärte Kassandra Ruhm, die später im Wagen mit Lautsprecher voran fuhr, das Prinzip der Postkarten: Wir würden überall, wo wir halten, Postkarten mit konkreten Wünschen an diese Institution beschreiben können. Die „Postkartenengel“ würden sie dann in die Institution hinein tragen und dort abgeben.

Mit nur geringer Verspätung ging es los. Wir liefen am Rembertiring vorbei zur GEWOBA, um für barrierefreien Wohnraum zu plädieren. Dann gingen wir zur Bildungssenatorin, um laut ein barrierefreies Internet für alle und inklusive Bildung zu fordern. Wieder vorbei am Bahnhofsvorplatz ging es weiter bis zur CDU-Parteizentrale an den Wallanlagen. Die CDU wurde bewundert für Parlamentseingaben pro Behinderte. Vermutlich machten sie dies jedoch nur, da sie im Moment in der Opposition sind. Wir riefen immer wieder den Slogan: „Wir alle wollen mittendrin leben!“ Es ging weiter zur AOK-Zentrale. Mein Lieb-Haber und ich küssten uns und blieben stehen – da mussten sie ein Transparent über uns hinweg heben. Das ging aber. Immer konnten an den Haltestellen auch andere Behinderte das Mikrophon benutzen, um zu sprechen und auf ihre konkreten Bedürfnisse hinzuweisen. Bei der AOK erzählte ein Rollifahrer, dass es von seinem ersten Antrag auf einen Rollstuhl bis zur Bewilligung drei Jahre gedauert habe! Empörend! Die Polizeieskorte erlaubte uns nicht, über die Straße bis direkt vor das Haus zu gehen. Es war auch nur an einem einzigen Fenster eine Person auszumachen, die zu uns heruntersah. Unser weiterer Weg führte uns in der Nähe des Gebäudes des Senators für Verkehr vorbei. Dann ging es über den Brill in die Innenstadt zum Marktplatz. Die Trams 2 und 3 wurden durch uns behindert und mussten warten.

Auf dem Marktplatz wurden verschiedene Ansprachen gehalten. Die guten zwei Stunden Wegstrecke auf den Straßen bis hierin waren für einige so anstrengend gewesen, dass sie den Ort verließen, sobald wir angekommen waren. Dadurch haben sie die sehr gute Ansprache des Landesbehindertenbeauftragten, Dr. Joachim Steinbrück, verpasst. Er erzählte, dass in Bremen gerade der Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erarbeitet werde. Bremerhaven habe bereits einen solchen Aktionsplan. Des weiteren plädierte er für mehr Fürsprecherinnen für weibliche Anliegen in Behindertenwerkstätten. Mein Freund und ich hatten uns in das Restaurant mit Blick auf den Schütting begeben und aßen gemütlich Folienkartoffeln, während wir den Ansprachen lauschten. Abschließend spielte noch eine Rap-Band sehr gute Musik, aber nur kurz. Das war gut so. Ich finde es immer wieder nervig, auf diesem wunderschönen Marktplatz mit historischen Gebäuden akustischen Müll, genannt Musik, hören zu müssen, der da nicht hin passt. Wie veranschlagt, dauerte die Demonstration bis fast 15 Uhr.

Ich war froh, dank unseres engagierten Koordinators Jörn Petersen auf dieser Jubiläums-Demo mit dabei gewesen zu sein.

Heike Oldenburg