Nietzsche – „Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit!“

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit

will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

(F. Nietzsche)

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900) schuf seine Philosophie des Lebens und seine Musik in einem politisch euphorischen Umfeld, zur Zeit der Gründung des Deutschen Reiches. Sein brillanter Stil ist noch heute weltweit beliebt. Viele Denkrichtungen schätzen ihn, Feministinnen z.B. aufgrund der Schrift „Befreit das Weib!“ Für viele moderne KünstlerInnen bleibt er eine große Inspirationsquelle.

Nietzsche kam 1844 in einem lutherischen Pastorenhaushalt in Röcken/Lützen, Sachsen-Anhalt, zur Welt. Sein jüngerer Bruder starb 1848, der Vater starb ein Jahr später. Mit Mutter, Schwester Elisabeth und weiteren Frauen lebte Nietzsche ab 1850 in Naumburg. Er entfernte sich innerlich früh von der christlichen Welt der Familie und blieb sein Leben lang einsam.

Eigene Identität

Schon als Kind war Nietzsche von Musik begeistert. O-Ton: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Mit zehn Jahren verfasste er eigene Musikstücke. Er nannte sich „Musiker“, das war seine gefühlte Identität. Jedes Schaffen sei Ausdruck der eigenen Existenz. Die zentrale Mitteilung in seinem Weihnachtsoratorium war, dass Schmerz der Grundton der Natur sei.

Ebenfalls früh erkennbar war eine große Nähe zu Schmerzen und Beeinträchtigungen. Schon als Schüler hatte Nietzsche wegen extremer Kurzsichtigkeit und großer Lichtempfindlichkeit starke Kopf- und Augenschmerzen. Er brauchte eine Brille mit -6 Dioptrien, blaue Brillengläser und eine Leselupe. Zu Schmerz entwickelte Nietzsche später ein modernes, dynamisches Konzept – ungewöhnlich für die Zeit. Gesundheit sei ein Kontinuum, welches jeden Tag neu entstehe. Dass er in seinem Konzept das Leibliche mitgedacht hat, war seiner Zeit ebenfalls weit voraus.

Der Querdenker

Schon im Domgymnasium zu Naumburg galt Nietzsche als komischer Kauz. Dabei war er eigentlich eher humorvoll.

1864/65 studierte er Philologie und Theologie in Bonn und Leipzig. Es gibt Gerüchte über den Erwerb einer Syphilis-Erkrankung in Leipzig – daher der spätere Verfall? Kurze Zeiten beim Militär und als Sanitäter folgten.

Beruflich war Nietzsche ein Senkrechtstarter. Er wurde 1869 mit 25 Jahren „Außerordentlicher Professor der Classischen Philologie“ in Basel. In den folgenden zehn Jahren schrieb er die meisten seiner Bücher. 1879 musste Nietzsche sich wegen heftiger Migräneanfälle und starker Schwindelattacken früh pensionieren lassen. Er lebte weitere zehn Jahre als freier Philosoph abwechselnd in Italien und in der Schweiz.

Nietzsche schrieb sich seit 1868 als Doktor seine Medikamenten-Rezepte selbst. Bei Selbstversuchen kam es fast zu Vergiftungen. Er nahm Opium, Morphium, Brechnuss, Tollkirsche sowie Schüssler-Salze. Des weiteren probierte er mehrere Therapien und Wasserkuren aus. Nichts half ihm, besser zu sehen. Zitat: „Ich kann nicht lesen, die Worte werden zu Klumpen.“ Dies muss für einen so schriftnah lebenden Menschen wie Nietzsche sehr schlimm gewesen sein.

Ausnutzung von Schwäche

1889 geriet Nietzsche mit beginnendem Erfolg seiner Bücher in eine euphorische Phase mit Größenwahn. Er wurde so außerordentlich sensibel, dass er in Turin ein Pferd umarmte, welches vom Kutscher geschlagen wurde. Ein Freund brachte ihn daraufhin in die Psychiatrie in Basel. Mit der Diagnose „Progressive Paralyse“ wurde Nietzsche in die Irren-, Heil- und Pflegeanstalt in Jena überführt, wurde entmündigt und zunehmend in seinem Dasein fremdbestimmt. Seine Krankenakte ist – wie heute noch normal – mit kleinen Befindlichkeiten des Alltags gespickt.

Ab 1890 wurde Nietzsche zu Hause in Weimar von seiner Mutter und der Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche1 versorgt. 1894 gründete seine Schwester ein Archiv und schrieb seine Bücher zum Teil nach eigenen Vorstellungen um. Nach dem Tode der Mutter 1897 wurde Förster-Nietzsche seine alleinige Nachlassverwalterin.

Nietzsche wurde in den letzten Lebensjahren regelrecht vorgeführt: Vor BesucherInnen wurde der Vorhang dann einmal kurz geöffnet. Ein sehr eindrucksvolles Bild davon vermittelt die 4 Minuten lange Filminstallation „Elisabeths Wille“ der Künstlerin Sabine Schindewahn (2000). Nach mehreren Schlaganfällen konnte Friedrich Nietzsche sich nicht mehr wehren. 1900 starb er. Schon jetzt konnten im Archiv in Weimar Souvenirs wie Schnauzbart-Bürsten erstanden werden. 1910 ließ die Schwester eine korrigierte Version seiner Totenmaske in Gips nachbauen, da die echte nach Schlaganfällen unsymmetrische Gesichtsformen zeigte. Hitler würde später den Nietzsche-Kult zur Staatsangelegenheit erheben.

Hier haben wir einen traurigen Fall von Missbrauch in der Familie vor uns, der durch die Ausbeutung im Nationalsozialismus noch eine besondere politische Dimension erreichte.

Heike Oldenburg

November 09

1Der Antisemit B. Förster hatte in Paraguay die Siedlungskolonie „Nueva Germania“ gegründet. Beging ebendort Selbstmord mit 46 Jahren.